Alfred Steinheimer

Der Kirchenstuhl als Streitobjekt

Bis in die Jahre um 1930 war es noch üblich, dass Kirchenstühle vermietet wurden und die Familien waren zum Teil sehr darauf bedacht, dass beim Ableben des Stuhlinhabers der angemietete Platz im Besitze der Familie blieb.

Ältere Gemeindemitglieder werden sich vielleicht noch an die Namensschilder bzw. Nummernschilder erinnern können, die an den Kirchenstühlen angebracht waren. Das stieß nicht immer auf Verständnis und besonders neu zugezogenen Gemeindemitgliedern wurde so der Besuch des Gottesdienstes erschwert, so dass nach einem Beschluss der Kirchenvorsteher hier in Roßtal ab dem 1. April 1936 die Vermietung der Kirchenstühle aufgehoben und die Namensschilder wenig später entfernt wurden.

Ob es damals Einwände gegen diese Maßnahme gab, die vom Landeskirchenrat schon längst den Kirchenvorständen nahegelegt worden war, ist aus den Protokollen nicht ersichtlich, jedenfalls wurde damit eine „Ordnung“ aufgehoben, die über Jahrhunderte bestand und die ebenso lange oft Anlass zu Streitigkeiten gab.

Nun muss man wissen, dass diese „Kirchenstuhl-Ordnung“ nicht nur, wie es die Akten zeigen, nach „Männer- und Weibersitze“ unterschied, sondern, dass es auch besondere Plätze gab, die im Sinne eines übersteigerten Standesbewusstseins nur den Honoratioren vorbehalten waren.

Da zum Pfarrsprengel Roßtal bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts eine Reihe von Lehensinhabern, meist Adelige, zählten, zudem noch bis 1797 ein Richter seinen Sitz hier hatte und jeder der Genannten glaubte, in der Kirche einen besonderen Platz beanspruchen zu können, kam der Pfarrer bei der Verteilung der Kirchensitze in einigen Fällen in arge Nöte. Ein Streitfall, der im Jahre 1716 sogar dem Ansbacher Markgraf Wilhelm Friedrich vorgetragen wurde, ist deshalb erwähnenswert, weil er aufzeigt, dass nicht Besitz allein, sondern Besitz und das Adelsprädikat halt noch schwerer wogen.

Bei dieser Auseinandersetzung, die einen lebhaften Schriftwechsel auslöste, ging es um die Plätze auf der Empore, dem sogenannten „Herrschaftsstand“, den auch heute noch die markgräflichen Wappenschilder zieren. Was war die Ursache?

Christoph Martin Fezzer, der im Jahre 1691 ein Lehen in Buchschwabach erwarb, erhielt, wie er vorgab, von Pfarrer Johann Georg Vogtherr (1676–1697) die Zusage, auf der genannten Empore mit seiner Familie dem Gottesdienst folgen zu können. Das gleiche Recht beanspruchte aber auch Gabriel von Furtenbach, der 1692 das Schlossgut in Roßtal erwarb, für sich und seine Angehörigen.

Das scheint bald 24 Jahre gut gegangen zu sein, vielleicht auch nur deshalb, wie es im Laufe der sich steigernden Auseinandersetzung zur Sprache kam, weil von Furtenbach nicht allzu häufig den Gottesdienst besuchte.

Irgendwann gab es aber doch Meinungsverschiedenheiten zwischen den genannten Familien, die wohl heftiger gewesen sein müssen, weil der Buchschwabacher Gutsherr gleich voller Zorn zur Feder griff und keinem Geringeren als dem Markgrafen in Ansbach in einem Brief vom 28. Februar 1716 den Fall vortrug und um eine Entscheidung in seinem Sinne bat. Sein Beschwerdeschreiben begann damit, dass Gabriel von Furtenbach „am heiligen Neujahrstag“ auf der Empore die älteste Tochter von Fezzer nicht beachtet (!) habe, und er brachte weiter vor, dass eine Enkelin des Furtenbach schon vor Jahren der Familie Fezzer in der Kirche sagte: „Ihr dörfft nicht mehr hinaufgehen, meyn Großpapa wird euch hinunterprügeln lassen“.

Nur den Tumult in der Kirche hätte er, Fezzer, damals gescheut, sonst hätte er es darauf ankommen lassen, schreibt er voller Groll und „… ob dieser Beschimpfung behielte er sich eine Satisfaction vor“.

Er betont in seinem Schreiben, dass „dies über Jahre gut ging, da doch auf der Porkirchen (Empore) bei 40 Personen stehen können“ allerdings verschwieg Fezzer, dass er in Abwesenheit der Furtenbachs deren Kirchenstühle besetzte.

Pfarrer Ernst Georg Schülin erhielt auf diesen Brief hin vom Ansbacher Consistorium eine Aufforderung, über diesen Streitfall zu berichten, ebenso sollte Gabriel von Furtenbach zu dieser Affäre Stellung nehmen.

War es Arroganz oder lagen andere Gründe vor, Gabriel von Furtenbach diktierte seinem „Skripenten“ seinem Schreiber Johann Christopf Hofmann, die Stellungnahme und ließ diesen auch das Schriftstück unterzeichnen.

In diesem Schreiben legte Furtenbach dar, dass er mit dem Burggut auch die Plätze auf der „Porkirchen“ erworben habe, außerdem hätte er auf seine Kosten eine Vergitterung und einen „aparten Verschlag“ machen lassen, um seine „Devotion“ verrichten zu können. Nach seiner Meinung habe Pfarrer Vogtherr, der schon 1697 starb, nie die Zusage erteilt, da er darüber gar nicht hätte „disponieren“ können. Es sei immerhin, so ließ Furtenbach schreiben, sein guter Wille gewesen, den Platz mit der Familie Fezzer zu teilen, die aber immer anmaßender geworden wäre.

Der Streit setzte sich fort. Es kam zwar zu keiner „Satisfaction“ wie Fezzer es andeutete – man stelle sich vor, dass eventuell mit Pistole oder Degen die Fezzer „angetane Beschimpfung“ wegen des Platzes auf der Empore geendigt hätte – aber die weitere schriftliche Auseinandersetzung gibt uns einen Einblick in das Standesdenken dazumal. In der Beantwortung der Furtenbach'schen Argumente äußerte sich Fezzer an einer Stelle: „… obgleich Herr von Furtenbach von ihrer kayserlichen Majestät und auch von Eurer Hochfürstlichen Durchlaucht den Rathstitel hat und Lehensamtmann ist, so bin ich dennoch aus diesem Holz geschnizzet, ich bin ein ehrlicher Bürgersohn aus Nürnberg und er ist ein Bürgersohn aus Leutkirchen, auch wirklich ein Bürger in Nürnberg gewesen.“ Zu diesem Zeitpunkt muss allerdings schon eine für Fezzer negative Entscheidung gefallen sein, denn er schrieb weiter: „… ich bekümmere mich sehr darüber, dass er (Furtenbach) solche Macht hat und zu meinem Hirten, wo ich hingepfarrt bin, in die Kirche nicht gehen solle“.

Auch Fezzers Ehefrau war zutiefst getroffen von der Entscheidung und klagte: „… ich habe es mit vielen Thränen zum öfteren überlesen, die Thränen der Betrübten fließen zwar wohl die Wangen herab. Der liebe Gott weiß es schon zu rächen. Dem lieben Gott haben noch nicht gefallen die Hochmüthigen, aber den Demüthigen gibt er Gnade. Ich will gerne in meiner Niedrigkeit verbleiben, darein mich mein lieber Gott gesetzet“.

Nach einer Beschreibung des Schlossgutes mit allem Zubehör um das Jahr 1700, war das Recht auf der Seite von Gabriel von Furtenbach, denn zum „Burgstall zu Roßstall gehörten die von den Herren von Ayeren (Anmerkung: Der Vorbesitzer) in possessione gehabten Kirchenstühl“.

Ein Jahr nach der Auseinandersetzung erwarb der Edle Lorenz von Schmiedel die Roßtaler Lehensgüter. Von Christoph Martin Fezzer ist bekannt, dass er ein zu aufwendiges Leben führte und schon 1714 ziemlich hoch verschuldet war. Er lebte wohl noch bis 1726 in Buchschwabach. Ob er, wie er in seinem letzten Schreiben andeutete, die Kirche in Roßtal nicht mehr besuchen konnte, ist nicht bekannt. Nach 1726 ging das Lehen an den Sohn Philipp Jakob.

Es war in der Geschichte der Pfarrei nicht die einzige, wohl aber die heftigste Auseinandersetzung um das Recht auf einen Kirchenstuhl.

Wie schon eingangs erwähnt, sprachen sich 220 Jahre nach diesem Streit die Kirchenvorstände einstimmig für die Freigabe der Kirchenstühle aus.

Ein Argument dafür soll noch zum Abschluss zitiert werden: „… (es) darf damit gerechnet werden, dass die Gemeinde pünktlicher erscheinen wird, wenn der Einzelne sich nicht mehr auf den Besitz seines Kirchenstuhles verlassen kann“.

Quellen:

Archiv der Pfarrei St. Laurentius, Roßtal Akten-Nr. 61, 276, 322

Quelle: Alfred Steinheimer, St.-Laurentius-Kirche zu Roßtal, Roßtal 2001, S. 58 ff.