KLEINE ENTDECKUNG BEI DER KIRCHENRENOVIERUNG:
Das zierliche Vogelrelief fand sich unter dem Putz über dem Rundbogenfenster links über dem südlichen Haupteingang zur Laurentiuskirche.
Die Buchschwabacher haben sich Zeit gelassen. Über dreißig Jahre gingen die Planungen bis es 1883 zur Restaurierung der arg heruntergekommenen Kirche kam, die ihr die heutige (äußere) Gestalt brachte.
Ein erster ausführlicher Kostenvoranschlag liegt bereits aus dem Jahre 1850 vor. Er sah einen völligen Neubau des Kirchenschiffes vor.
Im Vorbericht lesen wir:
Bei der obengenannten Kirche befindet sich außer dem Dachstuhl auch die Vierungsmauer des Kirchenschiffes, welche aus unregelmäßigen Sandsteinquadern besteht, in einem sehr schadhaften Zustande, und nachdem für 290 bis 300 Kirchengästen der erforderliche Raum nicht vorhanden ist, so soll das Kirchenschiff neu aufgeführt werden. Nach den beiliegenden Plänen … erhält das Kirchenschiff dann außer der Musik oder Orgelempore noch zwei Seitenemporen.
Die Bausumme war einschließlich Altar und neuer Orgel auf 6653 Gulden veranschlagt. Den Akten ist nicht zu entnehmen, warum dieser Plan nicht zur Ausführung kam.
Nach Vorbereitungen in den sechziger Jahren wurde 1871 durch den Privatarchitekten Paul ein neuer Entwurf vorgelegt. Er sah vor, die Kirche um 15 Fuß zu verlängern und an der Nord-Ostseite des Turmes eine Sakristei anzufügen. Dem Grundrißplan Pauls können wir entnehmen, daß neben dem Hauptaltar im Turmuntergeschoß rechts und links des Chores noch zwei Seitenaltäre standen. Davor sollte ein neuer Taufstein aufgestellt werden (Bild 1).
![]() |
Bild 1 Grundriß |
Indessen wurde die Ausführung des Planes zurückgestellt, da – so lesen wir Januar 1874 – wegen des Baues der Eisenbahn von Nürnberg nach Ansbach der Preis aller Baumaterialien und der Arbeitslohn ungeheuer gestiegen ist, tüchtige Arbeiter nicht zu haben sind und die Restauration selbst kein notwendiges Bedürfnis ist. Ein dritter Anlauf wurde 1880 unternommen:
Auf einer Versammlung der Kirchengemeindeglieder vom 17. November 1880, bei der 40 der 45 Stimmberechtigten anwesend waren, wurde beschlossen:
Steinsdorf erledigte seine Aufgabe mit einem geschickten Kunstgriff: Er drehte die Kirche herum. Anstatt das Kirchenschiff um ein Drittel zu verlängern und zu erhöhen, was die Kirche aus allen Proportionen gebracht hätte, fügte er einen neuen eingezogenen Altarraum am nordwestlichen Ende des Kirchenschiffes an und sah den bisherigen Chorraum im Turm für weitere Sitzplätze vor. An der Südwestfront des Chores wurde die über die Breite des Kirchenschiffes vorspringende Sakristei angebaut. Um einen Zugang zu einer größeren Orgelempore zu gewinnen, fügte er in den Zwickel zwischen Turm und Schiff auf der Südwestseite einen Stiegenturm ein.
Bei der Bauausführung ergab sich, daß die südwestliche Langhausmauer (die Kirche ist nicht genau orientiert, der alte Chor zeigte nach Südosten) ganz erneuert werden mußte.
Heute lassen sich drei Bauphasen an der Kirche leicht erkennen:
Ältester Bestand: unregelmäßige Sandsteinquader am unteren Teil des Turmes (vermutl. 13. Jahrhundert);
Regelmäßige Sandsteinquader mit Zangenlöchern am Obergeschoß des Turmes und an der Langhausmauer gegen Nordosten (frühes 15. Jahrhundert); glatte Sandsteinquader ohne Zangenlöcher aus der Zeit der Erneuerung 1882/83.
Um die Kirche, „die mehr einem Stadel denn einer Kirche glich“, vor Feuchtigkeit zu schützen, wurde das Terrain um die Kirche abgetragen. Vermutlich wurde auch im Innern der Kirchenboden angehoben.
Die neugotische Innenausstattung der Kirche wurde von Professor Wanderer, Nürnberg besorgt.
Das Gotteshaus scheint bald wieder nicht genug Platz geboten zu haben. 1912/13 wurde an der Nordostseite des Schiffes eine Empore eingezogen, die über einen hölzernen Treppenaufgang von außen zu erreichen ist. Aus dieser Zeit stammen die mit Blumengebinden geschmückten Emporenbrüstungen und eine neue Orgel von Steinmeyer, Öttingen. Die heutige Farbgestaltung des Innenraumes entstand 1971 nach Plänen von Architekt Wolfgang Gsänger, Georgensgmünd.
![]() |
Bild 2 Blick auf die Orgelempore 1883–1912 |
Obwohl Roßtal seit 1328 Stadtrechte besaß, hat sich ein Wandel von einer überwiegend landwirtschaftlich orientierten Bevölkerung zu einer von Handwerk und Gewerbe geprägten Einwohnerschaft mit städtischem Charakter nicht vollzogen. Die dafür ausschlaggebenden Gründe liegen zum Teil an der ungünstigen Infrastruktur Roßtals, das abseits der großen Handelswege lag, zum Teil aber auch an einer mangelnden Förderungspolitik der Markgrafen in Ansbach. Somit fehlte der Grundstock für eine spätere Industrialisierung auf der Basis eines funktionierenden Handwerks. Das in Roßtal ansässige Handwerk beschränkte seine Rolle auf die Versorgung eines lokal eng begrenzten Raumes.
Einen ersten genaueren Hinweis auf die in Roßtal vorhandene Gewerbestruktur findet man aus dem Jahr 1815. In diesem Jahr nämlich wurde die Bevölkerung Roßtals genauer statistisch erfaßt und es wurden die in Roßtal vorhandenen Handwerksberufe registriert. Diese Maßnahme steht wohl in einem engen Zusammenhang mit der Entwicklung eines modernen Staatswesens im Königreich Bayern. Der Staat benötigt für eine langfristige Finanzplanung exakte Unterlagen für die Berechnung von Steuern und Abgaben. Laut erwähnter Statistik besaß Roßtal 1815, am Ende der napoleonischen Herrschaft, 683 Einwohner. 85 Personen sind hiervon in einem der erfaßten Handwerkszweige beschäftigt.1
Die Statistik gibt in anschaulicher Weise die Situation des Handwerks im vorindustriellen Biedermeier-Deutschland wieder.
Bei den ansässigen Handwerksbetrieben handelt es sich ausschließlich um Kleinbetriebe, die selten mehr als zwei Beschäftigte umfassen. Die Kapazität und die Produktivität dieser Betriebe war bei der ohnehin sehr geringen Kapitalkraft und der Begrenztheit der Bedürfnisse eher gering. Typisch für die damalige Zeit ist auch die Tatsache, daß neben dem handwerklichen Betrieb auch noch eine Nebenerwerbslandwirtschaft existierte, die der Deckung des eigenen Nahrungsmittelbedarfes diente. Das Bild des Ackerbürgers, der eine kleine Landwirtschaft vor den Toren der Stadt besaß, die seinen Nahrungsmittelbedarf bestreiten sollte, ist wenigstens für die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts selbst in größeren Städten noch alltäglich.
Bei einer genaueren Analyse des vorhandenen Zahlenmaterials fallen einige Besonderheiten auf. Auffallend hoch ist die Zahl der Weber und der Webermeister. Ein knappes Viertel (21 %) finden in diesem Gewerbezweig der Textilherstellung Arbeit. Anhand der Weberei läßt sich ein weiteres Merkmal einer vorindustriellen Wirtschaftsstruktur herausarbeiten. Im Gegensatz zu einer industriellen Produktionsform, wo Wohn- und Arbeitsstätte räumlich voneinander getrennt sind, findet diese Trennung bei der Heimindustrie – und hierzu zählt die Weberei in besonderen Maßen – noch nicht statt. Die Weberei stellte damals für die Regionen Mittel- und Oberfranken einen wirtschaftlich wichtigen Gewerbezweig dar. Besonders kraß sind die Einbußen der Heimindustrie mit dem Aufstieg des Maschinenzeitalters, das die Einführung mechanischer Webstühle mit sich brachte. Im Rahmen dieser Umstrukturierungen und dem Verschwinden der Heimindustrie kam es zu beträchtlichen sozialen Spannungen, die sich im Falle Schlesiens, wo sich die Weber in einer scharfen Konkurrenz zur mechanischen Textilherstellung sahen, in Aufständen entluden, die mit Polizeigewalt unterdrückt wurden. Auch Oberfranken war von dieser Entwicklung betroffen, nachdem auch hier der mechanische Webstuhl eingeführt worden war. Die Folge war eine Verarmung weiter Landstriche. Im Falle Roßtals kann eine solche Entwicklung nur in groben Zügen nachvollzogen werden, da entsprechendes Zahlenmaterial fast vollständig fehlt. Die wenigen Anhaltspunkte lassen jedoch auf eine ähnliche Entwicklung schließen. 1815 sind im Bereich der Marktgemeinde Roßtal 9 Webermeister und 7 Weber verzeichnet2, selbst 18463, als in Schlesien bereits die mechanische Textilherstellung die Heimindustrie zu verdrängen begann, betrug die Zahl der Weber in Roßtal noch 19 Personen. 1883 wird in einem Schreiben der Gemeinde Roßtal an das kgl. Bezirksamt Fürth auch die Gewerbestruktur erwähnt. Darin findet sich kein Hinweis mehr auf die Weberei, die eine Generation vorher den wichtigsten Gewerbezweig in der Marktgemeinde darstellte. Dies läßt den Schluß zu, daß die mechanische Textilerzeugung die manuelle Weberei zu diesem Zeitpunkt in Roßtal verdrängt hat.
Ein Vergleich der Statistiken von 1846 und 1815 läßt weitere interessante Ergebnisse offenbar werden. Die Zahl der ortsansässigen Gewerbetreibenden dürfte sich nur geringfügig erhöht haben, obgleich die Einwohnerzahl von 683 auf 946 angewachsen ist. Der Grund für diese Ungenauigkeiten liegt darin, daß die Statistik von 1846 die Erfassung der Handwerkszweige oberflächlicher vollzieht. Auch spielen saisonale Einflüsse wie beim Bauhandwerk eine nicht unerhebliche Rolle, die das vorhandene Zahlenmaterial weniger exakt erscheinen lassen. Immerhin tauchen in der Gemeinde vier neue Arten von Gewerbetreibenden auf: Krämer, Garkoch, Hebamme und Ölschläger. In den bereits vorhandenen Gewerbezweigen finden stärkere Bewegungen nur in den Bereichen des textilverarbeitenden Gewerbes (Schneider), des lederverarbeitenden Gewerbes (Schuhmacher) sowie im Bereich des holzverarbeitenden Gewerbes (Schreiner) statt. In den anderen Gewerbezweigen, soweit sie erfaßt werden, treten kaum Veränderungen auf. Die Gründe hierfür liegen zum einen im Fehlen einer liberalen Marktwirtschaft, die zu diesem Zeitpunkt zwar theoretisch erkannt war, sich aber praktisch noch nicht hatte durchsetzen können. Folglich wurde die Gewerbefreiheit nur restriktiv gehandhabt. Je nach der industriellen und wirtschaftlichen Entwicklung der einzelnen deutschen Staaten wurde die Gewerbefreiheit mehr oder weniger liberal praktiziert.
Während in Preußen und in Sachsen, die bereits um 1845 ein nicht unerhebliches industrielles Potential besaßen, die Gewerbefreiheit sich rasch Geltung verschaffen konnte, dauerte es im überwiegend agrarisch strukturierten Bayern bis in die sechziger Jahre des 19. Jahrh., ehe die letzten diesbezüglichen Schranken fielen. Zum einen behinderte die starke Einengung der Gewerbefreiheit die Expansion des Handwerks, zum anderen schützte sie die am Ort ansässigen Handwerker vor allzu starkem Konkurrenzdruck. Der politischen Gemeinde oblag die Entscheidung über die Ansässigmachung von Handwerkern. Viele junge und mittellose Handwerker, die hierfür nicht die geforderten Geldsummen aufbringen konnten, sahen als einzige Hoffnung die Auswanderung nach Amerika, um sich aus dieser ausweglosen Situation zu befreien. Dies trifft unter anderem auch auf Roßtal zu, wie die Zahl der Auswanderwilligen in den Jahren 1846–1860 zeigt.
Die geringe Bewegung innerhalb der einzelnen Gewerbezweige ist auch damit zu erklären, daß die Mobilität durch eben jene Konzessionierungspflicht, der sich das Handwerk zu unterwerfen hatte, stark eingeschränkt war. Außerdem handelt es sich bei den vorhandenen Betrieben ausschließlich um Familienbetriebe, die vom Vater auf den Sohn vererbt wurden. Mangelndes Kapital und fehlende Investitionsbereitschaft verhinderten eine mögliche Ausdehnung. Die ungünstige Infrastruktur, unter der Roßtal zu leiden hatte, verstärkte diese Effekte nur noch mehr.
Trotz einer eher zaghaft beginnenden Industrialisierung vor 1870 konnte das Handwerk zumindest auf dem Land im großen und ganzen seine Position behaupten. Die entscheidende Zäsur findet erst nach Beendigung des deutschfranzösischen Krieges 1870/71 statt. Im Zuge von Reparationsleistungen, die das besiegte Frankreich zu entrichten hatte, floß ein ungeheurer Geldstrom in das neu gegründete Deutsche Reich, das sein erstes Wirtschaftswunder, die Gründerjahre erlebte. Der Boom war jedoch rasch mit dem Gründerkrach verflogen, so daß es zu einer erheblichen Rezession kam. Mit den französischen Geldern war die Initialzündung für eine rasche Industrialisierung Deutschlands geglückt. Im Zuge dieser intensiven industriellen Durchdringung des wirtschaftlichen Lebens entstanden auch die ersten großen industriellen Ballungsgebiete wie zum Beispiel der Großraum Fürth-Nürnberg.
Das Handwerk durchlief dabei einen Umstrukturierungsprozeß. Es verlegte sich entweder auf Gebiete, die der Industrie nicht rentabel genug erschienen – mit anderen Worten, es stieß in gewisse Freiräume, die ihm das Überleben sicherten – oder es begab sich als Zulieferer in die Abhängigkeit der Industrie. Schließlich verschwanden ganze Handwerkszweige, besonders auf dem Lande, wo die Auswirkungen der industriellen Revolution ebenfalls zu spüren waren. Mit dem Auftreten mechanisch arbeitender landwirtschaftlicher Geräte – als Symbol sei die Dampfdreschmaschine genannt – wurde die tierische und menschliche Arbeitskraft in den Hintergrund gedrängt. Handwerksberufe wie Melber und Büttner gerieten rasch in Vergessenheit. Gleichzeitig war die Möglichkeit für neue Handwerksberufe gegeben, die sich auf die Wartung und Reparatur dieser Maschinen spezialisierten.
Auch das in Roßtal ansässige Handwerk, das auf die agrarische Struktur der Gemeinde ausgerichtet war, geriet in den Sog dieses Prozesses. 1883 werden in einem Schreiben der Gemeinde an das kgl. Bezirksamt als Gewerbetreibende 6 Krämer, 4 Schreiner und eine nicht genau bestimmte Zahl von Maurern genannt. Obgleich diese Charakterisierung höchst ungenau ist, läßt dies doch den Schluß zu, daß andere Gewerbezweige ihre für die Marktgemeinde wirtschaftliche Bedeutung zumindest teilweise eingebüßt haben. Als bedeutender Gewerbezweig scheint das Bauhandwerk in Roßtal zu gelten, denn im Schreiben von 1883 wird eine „sehr große Zahl von Maurern“ erwähnt. Die Aussagekraft dieser Charakterisierung der wirtschaftlichen Lage der Gemeinde wird durch die Tatsache gestützt, daß im Bauhandwerk, als dem wichtigsten Gewerbezweig im Königreich Bayern im Jahre 1905 5,4 % der Bevölkerung Arbeit fanden. Im Deutschen Reich lag der Anteil der im Bauhandwerk beschäftigten Personen im Jahre 1907 bei 7,2 %.
Die industrielle Revolution ist der durchgreifendste wirtschaftliche und sozialpolitische Prozeß des 19. Jahrhunderts. Auf der Grundlage einer tiefgreifenden Veränderung des gesamten sozialpolitischen und ökonomischen Lebens konnte erst die heutige moderne Industriegesellschaft errichtet werden. Entsprechend viele Indikatoren sind zu finden, die eine Industriegesellschaft näher analysieren können. Drei Indikatoren wurden ausgewählt, die besonders anschaulich die Auswirkung der industriellen Revolution auf Roßtal darstellen.
Eines der markantesten Merkmale des Wirkens der industriellen Revolution ist ein sprunghafter Anstieg der Bevölkerung. Die Ursache hierfür ist weniger in einer Steigerung der Geburtenziffer zu suchen, als vielmehr in der Verbesserung medizinischer und hygienischer Maßnahmen, die zu einem Absinken der Kindersterblichkeit und zu einer längeren Lebenserwartung führten. Die Entwicklung verlief keineswegs so einheitlich, wie es auf den ersten Blick erscheinen mag. In den landwirtschaftlich orientierten Gebieten nehmen sich die Wachstumszahlen eher bescheiden aus, während in industriell geprägten Gebieten ein fast explosionsartiges Wachstum der Bevölkerung zu verzeichnen ist. Landwirtschaftlich geprägte Landstriche hatten ein erhebliches Maß an Abwanderung in industrielle Zentren zu verzeichnen, so daß trotz einer nominalen Zuwachsrate die Bevölkerung sich real verringerte oder konstant blieb. Besonders im fränkischen Jura oder in der Oberpfalz, die traditionell zu den Armenhäusern zählten, sind viele Bauern und Gewerbetreibende gezwungen, in die industriellen Ballungsgebiete um Nürnberg und Fürth abzuwandern. Die Einwohnerzahlen von Nürnberg und ihre Entwicklung dokumentieren dies in eindrucksvoller Weise.
Im Jahre 1806, als Nürnberg seine politische Selbständigkeit verlor, beherbergte die Stadt innerhalb ihrer Mauern 25 176 Menschen. 1861 war die Einwohnerzahl auf 62 797 Menschen gestiegen. Knapp vierzig Jahre später hatte sich die Bevölkerung vervierfacht. Im Jahre 1900 wohnten in Nürnberg 261 081 Einwohner, 1905 waren es deren 298 868. Doch nicht nur Nürnberg, sondern auch die an der Pegnitz gelegenen Dörfer profitierten von dieser Entwicklung. Vorhandene Handwerke und die billige Wasserkraft der Pegnitz bildeten günstigere Voraussetzungen für eine weitere Industrialisierung. Ein typisches Beispiel dafür ist Röthenbach an der Pegnitz. Durch die Ansiedelung der leonischen Drahtindustrie vollzog das Dorf einen ungeheueren wirtschaftlichen Aufschwung, der sich auch in einem sprunghaften Anstieg der Bevölkerung niederschlug4.
1840 war Röthenbach ein unbedeutendes Dorf, das 439 Einwohner zählte. 1871 war die Gemeinde auf 647 Einwohner gestiegen. 1900 wohnten 2492 Menschen in der Gemeinde. Das Wachstumsverhalten der Bevölkerung in Roßtal dagegen ist typisch für eine ländliche strukturierte Gemeinde. 1840 lebten in Roßtal 953 Menschen, 1871 waren es 965 und 1900 betrug die Einwohnerschaft der Gemeinde 1062 Personen. Während 1840 mehr als doppelt soviele Menschen in Roßtal als in Röthenbach wohnten, hatten sich 1900 die Verhältnisse umgekehrt.
Eine notwendige Voraussetzung für eine industrielle Produktionsweise ist das Vorhandensein einer gut funktionierenden Infrastruktur. Ohne geeignete Verkehrswege können Rohstoffe nur unter großem Aufwand an die Verarbeitungsstätten transportiert werden, ebenso schwierig ist der Transport der Fertigprodukte zu den Märkten und Verbrauchern. Auch der Transport der Menschen zwischen den Wohn- und Arbeitsstätten ist ohne ein modernes Massenverkehrsmittel unvorstellbar. Die Lösung dieser Probleme, die das 19. Jahrhundert hierzu anbot, war die Eisenbahn.
Im Zuge einer fortschreitenden Industrialisierung Deutschlands wurde das Land mit einem gut ausgebauten Netz von Eisenbahnlinien überzogen. Zwar verband schon 1835 die erste Eisenbahnlinie die Städte Nürnberg und Fürth, doch dauerte es noch einige Zeit, ehe die Eisenbahn als vollentwickeltes Massenverkehrsmittel zur Verfügung stand. Erst in den siebziger Jahren begann man mit dem Bau der Eisenbahnlinie Nürnberg-Ansbach, die zweifelsohne entscheidend zur Verbesserung der Verkehrsverhältnisse beitrug. Wichtige Aspekte hinsichtlich der Streckenführung gingen von der in Stein ansässigen Bleistiftindustrie aus. Diese war bestrebt, einen raschen Zugang zu den Märkten zu gewinnen, um ihre Produkte absetzen zu können.
Welche Wirkung zeigte nun die Eisenbahn für Roßtal?
Die erste Auswirkung, die die Eisenbahn für Roßtal hatte, war, daß Roßtal als Bahnstation in verkehrspolitischer Hinsicht eine nicht unerhebliche Aufwertung genoß. Dies unterstützte auch die Stellung Roßtals als ein jahrhundertealtes Kleinzentrum gegenüber dem Kranz der Roßtal umgebenden Dörfer. Zwar folgten der Eisenbahn keine Industriebetriebe, doch war der Bahnhof Roßtal eine Anlaufstation für die Verladung landwirtschaftlicher Erzeugnisse.
Die zweite Auswirkung war eine langfristige Veränderung der Sozialstruktur der Marktgemeinde. Mit der Einführung von Vorortzügen gegen Ende des vorigen Jahrhunderts wurde die Grundlage für das Pendlerwesen geschaffen, das wesentlich das soziale Bild der heutigen Gemeinde prägt. Wichtig für die agrarische Struktur der Gemeinde ist damit eine langsam voranschreitende Zurückentwicklung der Landwirtschaft als Haupterwerbsquelle zugunsten der Nebenerwerbslandwirtschaft. Nach außen hin bleibt somit der ländliche Charakter der Gemeinde gewahrt.
Auch anhand des Steuerwesens lassen sich, wenn auch nur indirekt, mögliche Auswirkungen einer Industrialisierung dokumentieren.
Neben zahlreichen Abgaben und Zöllen waren insbesondere vier Steuern eine wichtige Stütze zur Deckung des staatlichen Finanzbedarfes. Diese vier wichtigen Steuern im 19. Jahrhundert waren:
Die Erhebung für diese Steuern lag im Kompetenzbereich der jeweiligen Kommune. Je nach den einzelnen Anteilen der Steuern am Gesamtsteueraufkommen der Gemeinde lassen sich Rückschlüsse auf die gewerbliche und wirtschaftliche Entwicklung der Gemeinde ziehen. Liegt der Gewerbesteueranteil relativ hoch, so darf man vom Bild einer von Handel und Gewerbe geprägten Gemeinde mit einem hohen industriellen Entwicklungsstand ausgehen. Liegt dagegen die Haus-/Grundsteuer mit einem überdurchschnittlichen Anteil am Steueraufkommen vor, so handelt es sich um eine landwirtschaftlich orientierte Gemeinde, in der der Grund- und Bodenbesitz dominiert. Ein Vergleich der Marktgemeinde Roßtal mit der Stadt Schwabach zeigt dies in anschaulicher Weise6.
1882 betrug die Steuereinnahme Roßtals 2141,61 Mark. Den bedeutendsten Anteil nimmt die Grund-/Haussteuer mit 1416,68 Mark (66,2 %) ein. Zweidrittel des Gesamtsteueraufkommens wird durch diese Steuer bestritten. Erheblich geringer folgt die Gewerbesteuer auf dem zweiten Platz. Sie beträgt 448,26 Mark. Bezogen auf das Gesamtaufkommen liegt ihr Anteil bei 20,9 %. Kapital- und Einkommensteuer sind für das Steuersoll (= Gesamtsteueraufkommen) nahezu bedeutungslos. Die Kapitalsteuer beträgt 111,83 Mark (5,2 %), die Einkommensteuer beläuft sich auf 164,84 Mark (7,7 %).
Im Jahre 1880, die zeitliche Differenz von zwei Jahren schmälert keineswegs die Aussagekraft, liegt das Steuersoll der Stadt Schwabach bei 26 975,04 Mark. Wegen der industriellen Struktur der Stadt nimmt die Gewerbesteuer den ersten Platz mit 11 078,10 Mark (41,1 %) ein. Überraschenderweise liegt die Haus-/Grundsteuer mit 8882,20 Mark (32,9 %) relativ hoch. Dies wird jedoch dadurch erklärt, daß in Schwabach um diese Zeit zahlreiche Nebenerwerbslandwirtschaften existierten. Die Kapitalsteuer wird mit 4306,95 Mark angegeben. Der Anteil liegt bei 15,7 % und ist damit dreimal so hoch wie in Roßtal. Die Einkommensteuer wird mit 2707,79 Mark angegeben. Der Anteil liegt bei 10,3 %.
Zweifelsohne hat die industrielle Entwicklung im 19. Jahrh. eine gesellschaftliche und soziale Änderung in Roßtal herbeigeführt. Dies zeigt sich im Verschwinden von Handwerksberufen, die typisch für eine bäuerliche Struktur sind. Dennoch konnte Roßtal, trotz der Nähe des Großraumes Nürnberg, mit Einschränkungen sein ländliches Erscheinungsbild bewahren.
Das Bild, was uns Roßtal um 1900 bietet, ist charakteristisch für eine Gemeinde, deren Struktur auf die Landwirtschaft und zu einem geringen Teil auf das Kleingewerbe ausgerichtet ist.
![]() |
Statistik I |
Die Statistik von 1846 scheint ungenauer zu sein. Die Zahl der Handwerker dürfte zu niedrig angegeben sein.
![]() |
Statistik II |
![]() |
Statistik III |
1 | Siehe Statistik I |
2 | Adolf Rohn, Heimatbuch von Roßtal und Umgebung, Roßtal 1928 |
3 | E. Vetter, Statistisches Hand- und Adreßbuch von Mittelfranken, Ansbach 1846 |
4 | Siehe Statistik II |
5 | Das Steuerwesen eines Staates im 19. Jahrhundert basierte auf dem Ertragssteuersystem. Die Grund-/Haussteuer wurde vom steuerpflichtigen Grund-/Hausbesitz erhoben, die Gewerbesteuer entfiel auf konzessionspflichtiges Gewerbe. Kapitalerträge, die steuerpflichtig waren, fielen unter die Kapitalsteuer. Einkommen, das weder von Grunderwerb, oder einem Gewerbe stammte oder aufgrund von Kapitalerträgen steuerpflichtig war, wurde der Einkommensteuer unterworfen. Eine Einkommen bzw. Lohnsteuer im heutigen Sinne war damals unbekannt. |
6 | Siehe Statistik III |
Adolf Rohn, Heimatbuch von Roßtal und Umgebung, Roßtal, 1928 |
Hans Kreutzer/Robert Düthorn, Hrsg., Roßtal Vergangenheit und Gegenwart, Roßtal, 1978 |
Heinrich Schlüpfinger, Hrsg., Schwabach, Beiträge zur Stadtgeschichte und Heimatpflege Peter Gersbeck Verlag, Schwabach, 1977 |
Eckhardt Pfeiffer, Hrsg., Nürnberger Land, Karl Pfeifer's Buchdruckerei und Verlag, Hersbruck, 1982 |
Wilhelm Treue, Gesellschaft, Wirtschaft und Technik Deutschlands im 19. Jahrhundert (Gebhardt Handbuch der deutschen Geschichte Band 17), dtv Wissenschaft, München, 1980, vierte Auflage |
Peter Kritzer, Hrsg., Unbekanntes Bayern, Die Wirtschaft, Band 15 (Günther D. Roth: Aus den Anfängen der Industriewirtschaft in Bayern; Günther D. Roth: Bauernbefreiung und Güterkonjunktur, Ein Bericht über die wirtschaftliche Lage der bayerischen Bauern vor 100 Jahren) Süddeutscher Verlag, München 1980 |
Herders Konversationslexikon, Herdersche Verlagsbuchhandlung, Freiburg im Breisgau, 1902, dritte Auflage |
![]() |
Im Jahreskalender der Gaumenfreuden hat in den fränkischen Landen die Gans ihren festen Platz. Um Martini (11. November) hebt die Zeit der „Ganspartien“ in den Gasthäusern an und unzählige Vertreter dieser schnatternden Gattung Vogel müssen ihr Leben lassen, um in knusprig gebratener Form wieder auf dem Tische zu erscheinen.
Das Leben und die Tat des Heiligen, der in Ungarn etwa im Jahre 316 geboren, als römischer Soldat in Gallien, dem heutigen Frankreich, diente, zum Christentum sich bekehrte und einem Armen am Stadttor in Amiens die Hälfte seines Mantels gab, ist allseits bekannt.
Nach seinem Ausscheiden aus dem römischen Militärdienst lebte er zuerst als Einsiedler auf einer Insel bei Genua, kehrte dann nach Gallien zurück, wurde 371 zum Bischof von Tours gewählt und gründete das Kloster Marmoutier. Sein Wirken war so eindrucksvoll, daß er nach seinem Tod im Jahre 397 nicht nur zum Nationalheiligen der Franken wurde, sondern, mit der Ausdehnung des fränkischen Herrschaftsbereiches über Frankreich hinaus, auch in unserem Gebiet Verehrung fand. In Frankreich tragen heute noch mehr als 3500 Kirchen und über 400 Ortschaften seinen Namen, bei uns sind die dem hl. Martin geweihten Kirchen Zeugen der fränkischen Besiedlung.
Von einer Gans ist in der Lebensbeschreibung des Heiligen, der kurioserweise dazu noch als Schutzpatron der Gänsezucht, darüber hinaus bei den Hirten als Beschützer der Herden gilt, nirgends die Rede.
Mancherorts wird zwar die Legende erzählt, daß sich Martin in seiner Bescheidenheit durch die Flucht der Wahl zum Bischof entziehen wollte und sich als Versteck einen Gänsestall aussuchte. Die aufgescheuchte, lärmende Gänseschar verriet jedoch das Refugium. Sicher eine recht originelle Deutung für dieses ikonographische Rätsel.
In der Kunst wird Martin am häufigsten als Soldat dargestellt, wie er, zu Pferde sitzend, mit seinem Schwert den Mantel teilt. Diese Darstellung ist seit dem 10. Jahrhundert bekannt. Im Mittelalter bis zum Barock wird Martin in seiner Eigenschaft als Bischof mit den Insignien Krummstab, Buch oder Pokal abgebildet.
Seit dem Ende des 15. Jahrhunderts, vor allem im alpenländischen Raum, erscheint in den Darstellungen des Heiligen als Attribut die Gans.
Erklärungen gehen dahin, daß das Fest des Heiligen am 11. November an die Stelle des germanischen Wodansfestes trat und die volkstümlichen Bräuche um das Martinifest Züge dieses Festes tragen, so z. B. die Martinsfeuer, die Fackelzüge (heute Laternenumzüge), die Herstellung besonderen Backwerks, das Festessen und der Umtrunk. Eine andere Deutung geht dahin, daß die Gans, die seit dem 13. Jahrhundert als bäuerliche Naturalabgabe bekannt ist, am Zinstag, der nach Beendigung der landwirtschaftlichen Feldarbeit und der Kelterei auf den 11. November, dem Martinstag fiel, der Grundherrschaft übergeben wurde.
So recht weiß also keiner, was es zu Martini mit der Gans auf sich hat, und bei der Suche nach Quellen für dieses Heiligenattribut stieß ich auf die Predigt eines Augustiners, der 1702 in München seinen frommen Zuhörern auch nicht erklären konnte, warum St. Martin mit einer Gans abgebildet wird. Er schloß die Predigt:„...Sagt mir ainer reim dich oder ich iß dich, reim sich die Gans mit Martinitag wie sie wolle, ich isse sie dennoch, das ist ein alter Brauch und Gewohnheit und alte Gebrauch muß man nit abkommen lassen. Lasse ihm ein jeder seine Martinsgans wol schmecken, segne ihm's Gott der Vater.“ Dem wäre nichts hinzuzufügen.
Daß so regelmäßig fallende Festtage wie Martini auch in die bäuerliche Wettervorhersage mit einbezogen wurden, ist nicht verwunderlich, daß sich die Vorhersage aber auf die Beschaffenheit der Martinsgans bezieht, ist schon beachtlich.
„Ist Sankt Martins Gans am Brustbein braun,
wird man mehr Schnee als Kälte schaun,
ist sie aber weiß,
kommt weniger Schnee als Eis.“
Durant: Kulturgeschichte der Menschheit Band 10 |
Sachs, Badstüber, Neumann: Christliche Ikonographie in Stichworten 1980 |
Herder Konversationslex. 1905 |
Benzinger: Traktätchen-Brevier 1947 |